Archive for ‘Texte’

März 23, 2012

Weinkritik

Ganz ohne Wein: Taliban

Die Kritiken sind da. Und selten waren sich die Kritiker so uneinig wie diesmal, vor allem, was die Qualität des Weines angeht, den wir unseren Zuschauern während der Vorstellung servieren. Zur Erklärung: an einem Punkt des Abends gehen die Türen auf und herein kommen nette junge Menschen, die den Zuschauern Gratis-Wein servieren. Dazu erzählt Thomas Kürstner davon, dass man das demografische Problem vielleicht auch jetzt und heute schon lösen könnte, zum Beispiel wenn man seinem Sitznachbarn bzw. seiner Sitznachbarin näher kommen würde. Dann besingt er in einem Lied das „evangelische Mädchen in der neunten Reihe“. Was von uns als nette Geste dem Publikum gegenüber gedacht war, kam auch so an, zumindest bei einer gewissen Dina Netz, die das ganze auf „nachtkritik“ als „sympathische Regie-Idee“ bezeichnete. Ganz anders eine Zuschauerin, die sich einfach nur „kölnerin“ nennt, die mit dem Abend zwar sowieso nichts anfangen konnte, jedoch seufzend feststellte: „Da helfen auch keine Substanzen, wie z.B. Rotwein.“ Ob vielleicht andere Substanzen geholfen hätten, lässt sie offen, wobei wir denken (zumindest offiziell): Drogen sind keine Lösung – zumindest nie die einzige.

Eine Zuschauerin namens Bettina Müller staunte: „Zum Anheizen gab’s sogar Rotwein.“, wobei der auch bei ihr seine Wirkung wohl verfehlte, so dass wir ihren in der taz geschriebenen Aufsatz, in dem Begriffe wie „scheitert“, „versickert“, „schleppte“, „blödsinnig“ und „ermüdend“ vorkommen, auch bei oberflächlicher Lektüre und gutem Willen wohl als eher kritische Stimme werten müssen. Schade. Aber egal: denn Zuschauern wie Klaus Pölcke ging es ganz anders: stellvertretend für sich und seine Freunde bedankte er sich für den Mut und die „ausßergewöhnliche Ehrlichkeit“ – die ihn, davon wohl angesteckt, noch zu dem Geständnis brachte, dass er den Wein dennoch (anders als Dina Netz und Bettina Müller) eher  „mies“ fand. Da wir Menschen wie Klaus Pölcke natürlich nicht verärgern wollen, haben wir noch mal nachgefragt: Natürlich wollte das schauspielköln nicht 600 Zuschauer gratis mit einem 47er Chateau Pétrus beglücken. Doch man gelobte, in Zukunft einen Rotwein zwar nicht der Spitzen- aber doch der gehobenen Klasse zu kredenzen. Womit Kommentare wie der von einer Dame oder einem Herrn namens Candis Buvoir auf der Homepage des schauspielköln („Der Wein war übrigens ein rechter Fusel“) in Zukunft wohl der Vergangenheit angehören dürften.

Denn – wie Zuschauer Vasco Boenisch in der sz ganz richtig erkennt: es ist das richtige Glas Rotwein, das die Dinge interessant und witzig macht, so dass am Ende ein Abend herauskommt, an dem durchaus illustre Dinge geschehen: „Reiche Rentner werden senile Soapstars, Schwangere treten an zum Trampolin-Sprungtest: Kann man mit Kindern noch große Sprünge machen? Helmi-Knautschpuppen quasseln über Sturzgeburten und den Sturz des Euro, ein kleines Mädchen verliest ein Weltüberbevölkerungsmärchen, der Kölner Seniorenchor Spätlese be- bzw. vertont: ‚Wir sind die Mehrheit!‘ – und schließlich singen alle sesamstraßensüßlich einen ‚Triple-A‘-Song frei nach Standard & Poor“s.“ (Boenisch in der sz). Das alles vom „klügsten, aber auch spielfreudigsten Regisseur“, der auch schon mal mit Harald Schmidt verglichen wird (zum Beispiel von Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger). Theatergänger Bos, der unsere Bilder für so treffend hält, dass er der tagesschau empfiehlt, sie demnächst zu verwenden, erwähnt zwar ebenfalls, dass Wein ans Publikum ausgeschenkt wird, eines Urteils jedoch enthält er sich. Hat er ihn vielleicht gar nicht getrunken (immerhin ist Fastenzeit…)? Oder hat ihn der Genuss des übrigen Abends einfach von einem fundierten Wein-Urteil abgelenkt?

Wie auch immer: Sie alle sind eingeladen, zu kommen und selbst zu schmecken und zu testen – den neuen Rotwein, aber auch unseren sich immer weiter verändernden Abend. Ab dem 3.4. wieder im schauspielköln: „Der demografische Fakor – eine Unterhaltungstragödie mit Musik“ (und Gratis-Wein).

März 11, 2012

Zahlen lügen nicht

(Text zu: Gerd Bosbach, „Lügen mit Zahlen“)

Wer Schulden hat, hat schuld!

So ist es und da kann man gar nichts gegen tun, sagen die Zahlen. Es gibt keine Alternative, sagen die Zahlen. Schuld daran sind die Zahlen, sagen die Zahlen!

Zahlen sagen immer die Wahrheit - sagen die Zahlen...

Vor allem die Zahlen sind schuld, sagen die Zahlen, da kann man nichts machen, sie stehen schwarz auf weiß auf diesem Papier, in dieser Bilanz, in dieser Statistik. Die Zahlen haben immer recht und Zahlen irren nie. Sagen die Zahlen.

Und nicht nur die, sondern auch die, die die Zahlen dort hingeschrieben haben, um damit unser Schweigen zu untermauern und es einzubetonieren, haben immer recht. Sie irren nie. Die Zahlen sind immer auf ihrer Seite – und wenn auch nicht die Zahlen dieser Statistik, so doch die Zahlen auf ihrem Konto, die geben ihnen recht und uns unrecht.

Wer Schulden hat, ist schuld, so sagen die Zahlen. Wer keine Schulden hat, ist zwar auch nicht unschuldig, aber immerhin kann er sie gut verteilen, die Schulden wie die Schuld. Sie können nichts mehr zahlen, sagen die Zahlen, und werden zur Belohnung von denen, die nicht mehr zahlen wollen, an ganz prominenter Stelle platziert, sie bekommen den besten Platz in dieser oder jener Statistik, Terrassenplatz mit Aussicht auf die kommenden Dinge, auf diese oder jene Zukunft, die ja immer düster sein wird, weshalb wir, so die Zahlen, den Gürtel enger und enger und enger schnallen sollen und müssen, bis uns endgültig die Luft wegbleibt.

Selber schuld: Der Senioren-Chor "Spätlese" aus Köln probt den kommenden Aufstand

Zahlen, die lügen – wie kann das sein? Zahlen lügen nicht. Sie zählen viel, die Zahlen, doch sie sagen die Wahrheit. Immer. Die Zahlen können nichts dafür, was man mit ihnen veranstaltet, auf welcher Veranstaltung sie gerade auftreten und zu wessen Verunstaltung sie gerade antreten, die Zahlen sind immer unschuldig. Und sie haben immer recht. Uns setzen sie damit ins Unrecht. Das Recht ist nie auf unserer Seite: wir sind schuldig, wir sind schuld. Die Herren der Zahlen dagegen sind immer unschuldig und immer schon unschuldig gewesen. Die Schuld liegt bei den Zahlen, die ja nichts dafür können, ebenso wie ihre Herren. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Und dulden keinen Widerspruch. Du musst ihnen trauen. Unbedingt. Das liegt in ihrer und in unserer Natur.

(vgl: Gerd Bosbach über Demografie in der SZ,

sowie:

ders.: „Die Lügen der Demografen“ in konkret 2/12.)

März 9, 2012

Kind und Geld

Zwischen Kinderwagen und Gitarre: Nicolas Stemann und Thomas Kürstner

Das Aufziehen von Kindern ist seit dem Verbot der Kinderarbeit leider ohne jeden materiellen Ertrag.

Das Aufziehen eines Kindes ist ökonomisch irrational, der Sturz des Euro ist ökonomisch auch irrational, dafür ist er aber selbst mit dem Bauch nicht mehr zu verstehen. Das Kind ist mit dem Bauch zu verstehen aber nicht mit dem Kopf. Kosten verursacht beides.

Der Sturz des Euro ist mit gar nichts mehr zu verstehen, dennoch findet er statt und zwar mehr als das Kind. Die Geburt des Kindes findet nicht mehr statt, zumindest nicht in Europa.

Während die Druckerpresse immer mehr Geld auswirft, presst die Durchschnittsfrau immer weniger Kinder heraus. Jetzt sind es nur noch 1 Komma 3 – morgen werden es nur noch Null Komma acht sein, nur eins wird es nie sein: eins mit sich und der Welt, das dezimierte Kind. Es ist einfach zu wenig, das dezimierte Kleine ist zu wenig. Wir können also davon ausgehen, dass das Geld, das ja ebenfalls notorisch zu wenig ist, das Neugeborene überleben wird – selbst wenn dieses schon pränatal selektiert, getestet und für gut befunden wurde und es deshalb einem Selektionsdruck ausgesetzt war, den es dann später im Leben immer weiter erfahren wird: Deutschland sucht das Super-Neugeborene. „Weissu, wenn ich mir so deine Gene anguck, dann krieg ich das Kotzen“ sagt der Bohlen-Selektierer an der Rampe zum Leben und stuft es gleich mal herab, hinab in die Toilette oder den Krankenhaus-Mülleimer , und so geht es dann weiter von Rating zu Casting, von Stufe zu Stufe, von Tripel-A zu Doppel-A, herab, herab, herab.

Das Geld hat da weniger Probleme, es ist zwar ebenfalls großem Druck ausgesetzt in seiner Druckerpresse, aber wenn es zu schwächeln droht, dann druckt man eben mehr. Was natürlich nicht endlos weiter betrieben werden kann. Menschen schon: Menschen können endlos weiter produziert werden, es sei denn, sie finden keine Produzenten mehr, weil ihre Produktion ökonomisch so sinnlos geworden ist. Geld zu produzieren ist dagegen immer sinnvoll. Geld ist schließlich eine Zahl und Zahlen zählen immer aufwärts. Menschen werden abwärts geboren, mit dem Kopf nach unten, sonst gibt es einen Kaiserschnitt.

Ein Kind schlägt mit einem negativen Wert von 300.000,- Euro auf dieser Welt auf. Der Wert des Geldes ist positiv und so lange vorhanden, wie wir daran glauben. Und wenn uns nicht wieder die blöden Rating-Agenturen diesen Glauben vermiesen, dann lebt er auch noch heute und morgen und übermorgen und ewig. Wie wir.

Kinder braucht man dafür keine.

März 6, 2012

Meer und Mehr

Überbevölkerung vs. Bevölkerungsschwund

Zu viel Alte, zu viel Schwache, zu viel Kinder der Falschen. Wir wollen nur Kinder der Richtigen, von denen gibt es zu wenig, Kinder der Falschen gibt es in Hülle und Fülle, sie verstopfen uns schon längst den Markt, den Menschenmarkt, den Transfermarkt, auf dem sie nur nehmen können aber leider nichts geben, schließlich haben sie ja nichts, und das ist ihr Fehler! Kinder, die etwas haben: zu wenig! Kinder die etwas brauchen: zu viel! Weshalb wir sie nicht brauchen können, nicht jetzt, nicht hier, und also machen wir die Grenze eben zu, was alle verstehen können, seht: wir haben ja selbst zu wenig Kinder, da können wir Eure vielen nicht auch noch brauchen, wir sterben nämlich aus und dabei wollen wir nicht gestört werden. Wir wissen, ihr sterbt auch aber wir sterben aus, und das ist ja wohl ein bisschen schlimmer als im Ruderboot vor Gran Canaria zu kentern oder zu verdursten oder zu ertrinken oder an den Strand zu gelangen um von dort dann in einem schönen Luxus-Jet wieder zurückgebracht zu werden in das kinderreiche Reich der falschen Kinder. Ihr sitzt im Ruderboot vor Gran Canaria und ertrinkt oder verdurstet, aber wir sitzen im Tretboot vor Gran Canaria und sterben aus. Also bitte: habt ein wenig Anstand und Verständnis für uns und dafür, dass ihr schon wieder im Atlantik oder auch im Mittelmeer, vor Lampedusa oder Gibraltar ertrinken müsst, was ja schon allein deshalb nicht so schlimm ist, weil ihr ja so viele seid, so entsetzlich viele, und das, obwohl ihr doch das Aids habt und die Hitze und all die anderen schlimmen Dinge, die euch nicht daran hindern, weiter eurem Lieblingslaster zu frönen, dem zu viel sein! Sorry. Was genug ist, ist genug – aber was zu viel ist, ist zu viel. Müssten wir ertrinken, vor Lampedusa oder auf Sylt oder in den Niederlanden, so wäre es schlimmer, denn wir sind zu wenig und wir werden immer weniger und allein schon deshalb sind wir mehr wert.

Sagt der Markt.

März 3, 2012

Über Müdigkeit

Wir besinnen uns auf das, was jetzt zu tun ist. Was jetzt getan werden soll.

Was wir tun müssen, um das Schlimmste abzuwenden.

Schließlich ist es 30 Jahre nach zwölf, wie nicht nur der Demograf uns warnt, zu spät, wie er selber eigentlich wissen müsste. Also doch lieber ab ins Bett –

Doch da fängt es an. Die Krise der Innenarchitektur ist nämlich nicht zu unterschätzen. Zum Beispiel Betten. Gibt es eigentlich noch schöne Betten? Wenn analog zur Gesellschaft auch der gute Geschmack schrumpft, haben wir erst recht ein Problem. Dann sind wir gewissermaßen in der Emanzipationsfalle: kinderlos und doch daneben. Und da fallen wir abends hinein und kommen morgens nicht mehr raus, in diese Falle. Die sich dann als klassische Einstiegsdroge in die Müdigkeitsgesellschaft erweist, in die Gesellschaft von so vielen Müden, und es ist eine schlechte Gesellschaft, die Gesellschaft von all den Arbeitsmüden, Schulmüden, Kindermüden, Lebensmüden, Lernmüden, Gefühlsmüden, Spaßmüden, ja, die Spaßmüdigkeit ist eine Müdigkeit zum Fürchten, und die kennen wir nicht nur von früher. Beziehungsmüden, Liebesmüden, Musikmüden, Aufklärungsmüden, Religionsmüden, Gründungsmüden, und all diese Müden des Alltags haben nun eine Gesellschaft gegründet, damit sie nur noch beschränkt haften müssen für all das, was zu tun sein und doch nicht getan werden wird, wieder einmal, und was man deshalb wieder einmal selber tun müsste, wäre man nicht so entsetzlich müde. Man müsste zum Beispiel den Regenwald nicht abholzen und das Auto nicht fahren. Ersteres ist einfach, Letzteres eigentlich auch, dennoch fällt es allen schwer, und zwar beides. Was man weiter tun müsste, wäre, das Flugzeug heute mal in der Garage zu lassen und das Rind im Stall, in dem es dann eigentlich auch etwas mehr Platz zum Leben hätte haben sollen, ohne Gas und Atom und ohne Quälerei bis ins saftigste Kotelett hinein, ein Leben und ein Altern in einer Würde des Menschen, die ja schließlich offiziell auch nicht wirklich antastbar sein sollte, wofür man aber eigentlich auch mal sorgen müsste, ehrlich gesagt. Ebenso wie für die Alten, Armen und Behinderten, für die ja sonst keiner sorgt, auch Vater Staat nicht, obwohl der doch ausdrücklich dafür gegründet und bezahlt wurde, wobei der Gründungsmythos einer gewissen Gründungsmüdigkeit weichen musste, ebenso wie das Rind dem Genuss, so ist das eben. Richtig ist das nicht, doch mehr als die Fehler mit Rotstift markieren können wir nicht, wir die Hilfslehrer der Erde, dann muss sie eben nachsitzen die Welt, wenn sie so falsch ist, dann wird sie eben Hauptschule oder noch schlimmer, die falsche falsche Welt, bis sie schließlich wie all die anderen Schulversager dem Staat auf der Tasche liegt, und das müssen dann ja auch wieder wir zahlen, wir, der kleine Mann von der Straße, müssen die Welt retten, die, vom rechten Weg abgekommen, nun in der Gosse liegt und reichlich Stütze braucht. Von uns.

Was also wird getan werden müssen? Was genau wird in Zukunft zu bereuen sein? Was werden wir demnächst von uns denken, was wir getan hätten müssen gemusst getan gewesen gehätte hätte hätte. Hätte hätte Herrentoilette – und auch davon gibt es zu wenig, denkt die Erde, die im Rinnstein all den Urin der emsigen Partymeilen-Besucher ertragen muss. Die Party-people, die mit den Meilen auf die Meile fliegen, das Flugzeug bringt uns hin, es kostet nichts, auf jeden Fall nicht uns, nur unsere Kinder, von denen wir die Welt zwar geborgt haben, aber geborgt ist geborgt, da müssen die sich jetzt nicht so anstellen, denn anstellen werden sie sich ja sowieso noch genug müssen, wenn nicht auf dem Arbeitsmarkt, dann immerhin doch in der Suppenküche, also: genug gemeckert, jetzt muss auch mal ein bisschen Spaß sein, sonst heißt es wieder wir sind unlocker und das wollten wir ja nicht mehr sein, nie wieder, wir haben es uns geschworen, auf den Trümmern der damaligen Gegenwart: Nie wieder unlocker. Also auf geht’s ins Ausland, diesmal in harmloser, friedlicher Party-Absicht, das kostet gar nichts, nur ein wenig Geld, das uns demnächst ja sowieso fehlen wird, wie wir durch den monatlichen Rentenbescheid ja schon ziemlich sicher wissen, also nichts wie los: Paaartyyy. Hey was geht ab, wir feiern die ganze Nacht, und die ist lang, kein Licht am Ende des Tunnels, im „Tunnel“, und das ist gut so, denn wir sind die 24-hour-party-people in der nicht enden wollenden Nacht, und irgendwann ist sie dann vorbei – nicht die Nacht, nur die Party. Nur: dunkel ist es dann noch immer, das Licht am Ende des Tunnels war die Nachttischlampe, und auch die wird jetzt gelöscht, schließlich machen hundert Watt den Kohl auch fett, wie wir jetzt wissen. Hundert Watt macht auch Mist. Wir nehmen sie also vom Markt, die hundert Watt, das neue Produkt ist dunkler, aber auch teurer, und – der Chinese hat’s hineingemischt – auch noch giftiger, dafür haben wir eine Sache weniger, die in Zukunft hätte getan werden müssen. Es ist die falsche Sache, aber was soll’s. Licht aus, jetzt also, alle ins Bett, schließlich seid ihr doch so müde, zu müde zum Aufstehen, wie ich hörte, also Schlafen jetzt, und dann das: das Wasser steigt, weil alles zu warm ist, nein zu kalt wird, nein, das Wasser ist weg, es gibt nicht genügend für morgen, nicht genügend für den Schlaftrunk und zum Zähneputzen reicht schon gar nicht und dennoch, das ist jetzt gewissermaßen Pech im Unglück, regnet es hinein in die gute Stube, also spannen wir den Schirm auf, wir wollen schließlich schlafen und brauchen folglich einen Rettungsschirm. Der Rettungsring hat sich vorsorglich schon mal um unsere Hüften gelegt und verunstaltet dort das schöne enge Party-T-Shirt, doch hilft er uns nicht weiter, jetzt, wo das Wasser uns bis zum Hals steht und es von oben immer weiter reinregnet in das Dach, diesen Überbau, der noch immer sagt: „alles wird gut“ und „schlaf gut“ und „guten Abend gute Nacht“.

Wir suchen den Schlaf und wir zählen die Schäfchen, die wir alle noch ins Trockene bringen müssten, es sind viele, zu viele, also wertlos wie wir, wir zählen sie und während wir noch zählen, wie viele Schäfchen ertrinken werden dereinst, wenn uns endgültig die Felle wegschwimmen und wir sie alle nicht ins Trockene gebracht haben werden, fallen wir in kostbaren weil seltenen Schlaf und damit in unsere Erlösung. Während die kommenden Aufstände allesamt an unserem geschlossenen Schlafzimmerfenster vorbeitoben und uns nicht mehr zu wecken imstande sind. Noch nicht einmal die.

Was also hätte getan werden müssen? Vielleicht wissen es andere. Vielleicht tun es andere. Immer sind es die anderen, die etwas tun und die uns etwas tun, nie waren es wir selber, nie werden wir es selber gewesen sein, außer natürlich im Nachhinein, wenn wir Toten erwachen dereinst und sagen wollen: ich war dabei! Ich habe gelebt. Damals. In Wachheit. In Klarheit. In Richtigkeit. Und ich habe das Richtige getan. Ich habe stets das Richtige getan. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, da ich nichts getan habe! Die anderen haben Fehler gemacht! Ich habe nichts gemacht!

Ich hab doch gar nichts gemacht!

Gar nichts! Nichts!

Ich war nie hier.

März 2, 2012

Musiker brauchen Instrumente

Instrumente sollten nie neuer aussehen als die Musiker

Wir wollen Musik. Alle wollen immer Musik. Also gehen wir los und kaufen sie uns. Der Ton macht die Musik und der Haarschnitt macht den Musiker. Und der Musiker braucht ein Instrument. Oder zwei oder drei. Früher haben Musiker Musik gemacht. Heute kaufen sie sich Instrumente. Die dann auf den Musikern herumspielen bis diese sich wieder neu genug fühlen um sich neue kaufen. Von dem Geld, das sie noch nicht hatten, als sie noch neu waren. Jetzt sind sie alt und kaufen sich Instrumente, die neu sind, aber alt aussehen sollen. Bei den Musikern ist es genau umgekehrt. Je älter ein Instrument aussieht, desto jünger macht es den Musiker. Die meisten wollen ein Instrument aus den sechzigern, weil damals einfach alle jung waren, auch der Rock’n’Roll. Wir waren damals noch gar nicht geboren. Wir waren noch zu entdecken, für die Musik galt das gleiche. Heute ist die Musik entdeckt und wir schon längst geboren und bereits spät-gebärend (wenn überhaupt) und beide, die Musik und wir, laufen jetzt unserer Vergangenheit hinterher. Die Gegenwart brauchen wir dabei auch. Die neueste Technik wird eingesetzt um die älteste zu kopieren. Die Musik kopiert ihre Vergangenheit. Analog ist besser, aber nur, wenn es digital speicherbar ist und nicht danach aussieht. Virtuell-analog. Die Analogie des echten Lebens. Das echte Leben liegt in der Vergangenheit. Und die kann man sich neuerdings kaufen. Es gab mal eine Zeit – damals, als die Zukunft noch eine super Sache war – da sollte alles ganz neu sein und auch so aussehen.  Jetzt soll alles alt aussehen, nur wir nicht. Der Synthesizer hat ein Holzgehäuse, erzählt  das Plastik, und wir glauben ihm gern. Die Abnutzungserscheinungen der neuen Gitarre werden gleich mitgeliefert. Die Gebrauchsspuren. Sie soll so aussehen, als hätte man schon viel auf ihr gespielt, als hätte sie schon viel erlebt. Das ist super, dann müssen wir gar nichts mehr machen und auch nichts mehr erleben. Wir finden es immer besser, nichts zu machen als etwas. Damit wir weniger Gebrauchsspuren bekommen. Der Musiker soll nämlich im Gegensatz zum Instrument möglichst ungebraucht aussehen. Er soll noch alles vor sich, das Instrument soll schon alles hinter sich haben. Zumindest soll es so aussehen, schließlich ist es in Wirklichkeit ja umgekehrt. Klingt aber gut. Fast wie echt.

Wir gründen jetzt eine Band, die das Leben covert.

That’s Rock’n’Roll.

März 1, 2012

Über diesen Blog

Hallo,

mein Name ist Nicolas Stemann. Ich probe und entwickle gerade mit meinem Team am Schauspiel Köln die Diskurs-Revue »Der demografische Faktor«.

Die Proben für eine Theaterproduktion finden in der Regel streng geheim und abgeschirmt hinter verschlossenen Türen statt. Wir haben uns entschieden, diese Türen zu öffnen und einen Einblick in unseren ungewöhnlichen Probenprozess zu ermöglichen. Auf diesem Blog wollen wir bis zur Premiere und darüber hinaus (größtenteils unfertige) Ergebnisse aus den Proben veröffentlichen: Improvisierte Schnellschüsse, druckfrische Texte, Bilder, Songs und Filme sollen einen Eindruck vermitteln von dem kreativen Chaos, das hier mittlerweile herrscht. Und das hoffentlich zu einem lebendigen, verstörenden und unterhaltsamen Theaterabend führen wird.

Thema des Abends: Ausgehend von der Tatsache einer stetig sinkenden Geburtenzahl in den westlichen Ländern und dem damit einhergehenden drohenden Kollaps der Sozialsysteme beschäftigen wir uns in diesem Stück mit der düsteren Zukunftsvision einer Welt, die sich selbst dem Untergang geweiht hat, einer Gesellschaft, in der es nur noch Alte gibt aber niemanden mehr, der sie pflegt. Das Geld hat die Menschen ersetzt, und alle finden das gut so. Und: gibt es eigentlich gute und weniger gute Menschen? Glaubt man den Demografen sterben die einen aus, während die anderen die Erd übervölkern. Wo ist also das Problem? Tolerant zumindest ist jeder nur noch so lange, wie er es sich leisten kann.

Seit Ende Januar proben, schreiben und entwickeln wir nun schon dieses Stück in einem kollektiven work-in-progress. Das szenische und musikalische Material, das dabei bereits entstanden ist, ist ausgesprochen vielfältig – ein Streifzug durch alle möglichen Genres: Musical und neue Dramatik, Puppenspiel und Kunst-Aktion, Comic und Mockumentary, Rock-Konzert und Dichterlesung, Sitcom und Peking-Oper. Was davon schließlich auch seinen Weg auf die Bühne finden wird, ist zum momentanen Zeitpunkt noch vollkommen offen.

Es geht uns dabei um nichts weniger als um die Rettung der Welt! Und dazu ist uns jedes Mittel recht.

Aber sehen Sie selbst. Viel Spaß dabei.

Nicolas Stemann