Posts tagged ‘Ökologie’

März 3, 2012

Über Müdigkeit

Wir besinnen uns auf das, was jetzt zu tun ist. Was jetzt getan werden soll.

Was wir tun müssen, um das Schlimmste abzuwenden.

Schließlich ist es 30 Jahre nach zwölf, wie nicht nur der Demograf uns warnt, zu spät, wie er selber eigentlich wissen müsste. Also doch lieber ab ins Bett –

Doch da fängt es an. Die Krise der Innenarchitektur ist nämlich nicht zu unterschätzen. Zum Beispiel Betten. Gibt es eigentlich noch schöne Betten? Wenn analog zur Gesellschaft auch der gute Geschmack schrumpft, haben wir erst recht ein Problem. Dann sind wir gewissermaßen in der Emanzipationsfalle: kinderlos und doch daneben. Und da fallen wir abends hinein und kommen morgens nicht mehr raus, in diese Falle. Die sich dann als klassische Einstiegsdroge in die Müdigkeitsgesellschaft erweist, in die Gesellschaft von so vielen Müden, und es ist eine schlechte Gesellschaft, die Gesellschaft von all den Arbeitsmüden, Schulmüden, Kindermüden, Lebensmüden, Lernmüden, Gefühlsmüden, Spaßmüden, ja, die Spaßmüdigkeit ist eine Müdigkeit zum Fürchten, und die kennen wir nicht nur von früher. Beziehungsmüden, Liebesmüden, Musikmüden, Aufklärungsmüden, Religionsmüden, Gründungsmüden, und all diese Müden des Alltags haben nun eine Gesellschaft gegründet, damit sie nur noch beschränkt haften müssen für all das, was zu tun sein und doch nicht getan werden wird, wieder einmal, und was man deshalb wieder einmal selber tun müsste, wäre man nicht so entsetzlich müde. Man müsste zum Beispiel den Regenwald nicht abholzen und das Auto nicht fahren. Ersteres ist einfach, Letzteres eigentlich auch, dennoch fällt es allen schwer, und zwar beides. Was man weiter tun müsste, wäre, das Flugzeug heute mal in der Garage zu lassen und das Rind im Stall, in dem es dann eigentlich auch etwas mehr Platz zum Leben hätte haben sollen, ohne Gas und Atom und ohne Quälerei bis ins saftigste Kotelett hinein, ein Leben und ein Altern in einer Würde des Menschen, die ja schließlich offiziell auch nicht wirklich antastbar sein sollte, wofür man aber eigentlich auch mal sorgen müsste, ehrlich gesagt. Ebenso wie für die Alten, Armen und Behinderten, für die ja sonst keiner sorgt, auch Vater Staat nicht, obwohl der doch ausdrücklich dafür gegründet und bezahlt wurde, wobei der Gründungsmythos einer gewissen Gründungsmüdigkeit weichen musste, ebenso wie das Rind dem Genuss, so ist das eben. Richtig ist das nicht, doch mehr als die Fehler mit Rotstift markieren können wir nicht, wir die Hilfslehrer der Erde, dann muss sie eben nachsitzen die Welt, wenn sie so falsch ist, dann wird sie eben Hauptschule oder noch schlimmer, die falsche falsche Welt, bis sie schließlich wie all die anderen Schulversager dem Staat auf der Tasche liegt, und das müssen dann ja auch wieder wir zahlen, wir, der kleine Mann von der Straße, müssen die Welt retten, die, vom rechten Weg abgekommen, nun in der Gosse liegt und reichlich Stütze braucht. Von uns.

Was also wird getan werden müssen? Was genau wird in Zukunft zu bereuen sein? Was werden wir demnächst von uns denken, was wir getan hätten müssen gemusst getan gewesen gehätte hätte hätte. Hätte hätte Herrentoilette – und auch davon gibt es zu wenig, denkt die Erde, die im Rinnstein all den Urin der emsigen Partymeilen-Besucher ertragen muss. Die Party-people, die mit den Meilen auf die Meile fliegen, das Flugzeug bringt uns hin, es kostet nichts, auf jeden Fall nicht uns, nur unsere Kinder, von denen wir die Welt zwar geborgt haben, aber geborgt ist geborgt, da müssen die sich jetzt nicht so anstellen, denn anstellen werden sie sich ja sowieso noch genug müssen, wenn nicht auf dem Arbeitsmarkt, dann immerhin doch in der Suppenküche, also: genug gemeckert, jetzt muss auch mal ein bisschen Spaß sein, sonst heißt es wieder wir sind unlocker und das wollten wir ja nicht mehr sein, nie wieder, wir haben es uns geschworen, auf den Trümmern der damaligen Gegenwart: Nie wieder unlocker. Also auf geht’s ins Ausland, diesmal in harmloser, friedlicher Party-Absicht, das kostet gar nichts, nur ein wenig Geld, das uns demnächst ja sowieso fehlen wird, wie wir durch den monatlichen Rentenbescheid ja schon ziemlich sicher wissen, also nichts wie los: Paaartyyy. Hey was geht ab, wir feiern die ganze Nacht, und die ist lang, kein Licht am Ende des Tunnels, im „Tunnel“, und das ist gut so, denn wir sind die 24-hour-party-people in der nicht enden wollenden Nacht, und irgendwann ist sie dann vorbei – nicht die Nacht, nur die Party. Nur: dunkel ist es dann noch immer, das Licht am Ende des Tunnels war die Nachttischlampe, und auch die wird jetzt gelöscht, schließlich machen hundert Watt den Kohl auch fett, wie wir jetzt wissen. Hundert Watt macht auch Mist. Wir nehmen sie also vom Markt, die hundert Watt, das neue Produkt ist dunkler, aber auch teurer, und – der Chinese hat’s hineingemischt – auch noch giftiger, dafür haben wir eine Sache weniger, die in Zukunft hätte getan werden müssen. Es ist die falsche Sache, aber was soll’s. Licht aus, jetzt also, alle ins Bett, schließlich seid ihr doch so müde, zu müde zum Aufstehen, wie ich hörte, also Schlafen jetzt, und dann das: das Wasser steigt, weil alles zu warm ist, nein zu kalt wird, nein, das Wasser ist weg, es gibt nicht genügend für morgen, nicht genügend für den Schlaftrunk und zum Zähneputzen reicht schon gar nicht und dennoch, das ist jetzt gewissermaßen Pech im Unglück, regnet es hinein in die gute Stube, also spannen wir den Schirm auf, wir wollen schließlich schlafen und brauchen folglich einen Rettungsschirm. Der Rettungsring hat sich vorsorglich schon mal um unsere Hüften gelegt und verunstaltet dort das schöne enge Party-T-Shirt, doch hilft er uns nicht weiter, jetzt, wo das Wasser uns bis zum Hals steht und es von oben immer weiter reinregnet in das Dach, diesen Überbau, der noch immer sagt: „alles wird gut“ und „schlaf gut“ und „guten Abend gute Nacht“.

Wir suchen den Schlaf und wir zählen die Schäfchen, die wir alle noch ins Trockene bringen müssten, es sind viele, zu viele, also wertlos wie wir, wir zählen sie und während wir noch zählen, wie viele Schäfchen ertrinken werden dereinst, wenn uns endgültig die Felle wegschwimmen und wir sie alle nicht ins Trockene gebracht haben werden, fallen wir in kostbaren weil seltenen Schlaf und damit in unsere Erlösung. Während die kommenden Aufstände allesamt an unserem geschlossenen Schlafzimmerfenster vorbeitoben und uns nicht mehr zu wecken imstande sind. Noch nicht einmal die.

Was also hätte getan werden müssen? Vielleicht wissen es andere. Vielleicht tun es andere. Immer sind es die anderen, die etwas tun und die uns etwas tun, nie waren es wir selber, nie werden wir es selber gewesen sein, außer natürlich im Nachhinein, wenn wir Toten erwachen dereinst und sagen wollen: ich war dabei! Ich habe gelebt. Damals. In Wachheit. In Klarheit. In Richtigkeit. Und ich habe das Richtige getan. Ich habe stets das Richtige getan. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, da ich nichts getan habe! Die anderen haben Fehler gemacht! Ich habe nichts gemacht!

Ich hab doch gar nichts gemacht!

Gar nichts! Nichts!

Ich war nie hier.