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März 23, 2012

Weinkritik

Ganz ohne Wein: Taliban

Die Kritiken sind da. Und selten waren sich die Kritiker so uneinig wie diesmal, vor allem, was die Qualität des Weines angeht, den wir unseren Zuschauern während der Vorstellung servieren. Zur Erklärung: an einem Punkt des Abends gehen die Türen auf und herein kommen nette junge Menschen, die den Zuschauern Gratis-Wein servieren. Dazu erzählt Thomas Kürstner davon, dass man das demografische Problem vielleicht auch jetzt und heute schon lösen könnte, zum Beispiel wenn man seinem Sitznachbarn bzw. seiner Sitznachbarin näher kommen würde. Dann besingt er in einem Lied das „evangelische Mädchen in der neunten Reihe“. Was von uns als nette Geste dem Publikum gegenüber gedacht war, kam auch so an, zumindest bei einer gewissen Dina Netz, die das ganze auf „nachtkritik“ als „sympathische Regie-Idee“ bezeichnete. Ganz anders eine Zuschauerin, die sich einfach nur „kölnerin“ nennt, die mit dem Abend zwar sowieso nichts anfangen konnte, jedoch seufzend feststellte: „Da helfen auch keine Substanzen, wie z.B. Rotwein.“ Ob vielleicht andere Substanzen geholfen hätten, lässt sie offen, wobei wir denken (zumindest offiziell): Drogen sind keine Lösung – zumindest nie die einzige.

Eine Zuschauerin namens Bettina Müller staunte: „Zum Anheizen gab’s sogar Rotwein.“, wobei der auch bei ihr seine Wirkung wohl verfehlte, so dass wir ihren in der taz geschriebenen Aufsatz, in dem Begriffe wie „scheitert“, „versickert“, „schleppte“, „blödsinnig“ und „ermüdend“ vorkommen, auch bei oberflächlicher Lektüre und gutem Willen wohl als eher kritische Stimme werten müssen. Schade. Aber egal: denn Zuschauern wie Klaus Pölcke ging es ganz anders: stellvertretend für sich und seine Freunde bedankte er sich für den Mut und die „ausßergewöhnliche Ehrlichkeit“ – die ihn, davon wohl angesteckt, noch zu dem Geständnis brachte, dass er den Wein dennoch (anders als Dina Netz und Bettina Müller) eher  „mies“ fand. Da wir Menschen wie Klaus Pölcke natürlich nicht verärgern wollen, haben wir noch mal nachgefragt: Natürlich wollte das schauspielköln nicht 600 Zuschauer gratis mit einem 47er Chateau Pétrus beglücken. Doch man gelobte, in Zukunft einen Rotwein zwar nicht der Spitzen- aber doch der gehobenen Klasse zu kredenzen. Womit Kommentare wie der von einer Dame oder einem Herrn namens Candis Buvoir auf der Homepage des schauspielköln („Der Wein war übrigens ein rechter Fusel“) in Zukunft wohl der Vergangenheit angehören dürften.

Denn – wie Zuschauer Vasco Boenisch in der sz ganz richtig erkennt: es ist das richtige Glas Rotwein, das die Dinge interessant und witzig macht, so dass am Ende ein Abend herauskommt, an dem durchaus illustre Dinge geschehen: „Reiche Rentner werden senile Soapstars, Schwangere treten an zum Trampolin-Sprungtest: Kann man mit Kindern noch große Sprünge machen? Helmi-Knautschpuppen quasseln über Sturzgeburten und den Sturz des Euro, ein kleines Mädchen verliest ein Weltüberbevölkerungsmärchen, der Kölner Seniorenchor Spätlese be- bzw. vertont: ‚Wir sind die Mehrheit!‘ – und schließlich singen alle sesamstraßensüßlich einen ‚Triple-A‘-Song frei nach Standard & Poor“s.“ (Boenisch in der sz). Das alles vom „klügsten, aber auch spielfreudigsten Regisseur“, der auch schon mal mit Harald Schmidt verglichen wird (zum Beispiel von Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger). Theatergänger Bos, der unsere Bilder für so treffend hält, dass er der tagesschau empfiehlt, sie demnächst zu verwenden, erwähnt zwar ebenfalls, dass Wein ans Publikum ausgeschenkt wird, eines Urteils jedoch enthält er sich. Hat er ihn vielleicht gar nicht getrunken (immerhin ist Fastenzeit…)? Oder hat ihn der Genuss des übrigen Abends einfach von einem fundierten Wein-Urteil abgelenkt?

Wie auch immer: Sie alle sind eingeladen, zu kommen und selbst zu schmecken und zu testen – den neuen Rotwein, aber auch unseren sich immer weiter verändernden Abend. Ab dem 3.4. wieder im schauspielköln: „Der demografische Fakor – eine Unterhaltungstragödie mit Musik“ (und Gratis-Wein).